»Infatuation« hieß eine eher mäßig erfolgreiche Single Veröffentlichung von Rod Stewart in den 80-er Jahren. Am ehesten läßt es sich mit Verblendung, manchmal auch mit Schwärmerei oder Verliebtheit übersetzen. Der Fernsehsender WDR hatte beschlossen für seine Musikshow »Bananas«, von der ARD zur Hauptsendezeit ausgestrahlt, einen Videoclip dazu in der Kunstakademie Düsseldorf zu drehen. »Verblendung« hatte wohl aus Sicht des Regisseurs mit einem typischen Kunststudium zu tuen, genauso wie die erste Strophe.
Early in the morning I can’t sleep
I can’t work and I can’t eat
I’ve been drunk all day, can’t concentrate
Maybe I’m making a big mistake
Gemeinsam mit ein paar anderen Kunststudenten wurde ich für den Tag der Dreharbeiten als Hilfskraft eingestellt. Ich war an Musik sehr interessiert, leider weniger an dem was Rod Stewart in dieser Phase so veröffentlichte. Immerhin war ich in meiner Schulzeit bei seinem Hit »Sailing« zum ersten Mal »richtig« geküßt worden, das vergißt man nicht. Aus meiner Sicht gibt es also eine besondere, unsichtbare Verbindung zwischen uns. Auch wenn ich inzwischen weiß, dass »Sailing« gar nicht von Rod Stewart stammt. Das schlichte und bewegende Original wurde 1972 von den Sutherland Brothers geschrieben und aufgenommen.
Im Videoclip zu »Verblendung« ist Rod Stewart also ein Kunstakademie Professor der ein typisches Kolloquium in seiner Malerei/Grafik Klasse leitet: Es wird gemalt, gezeichnet und dazu natürlich gesungen und getanzt. Jedenfalls muss es so oder ähnlich im, wie
ich fand, etwas enttäuschenden Drehbuch des Regisseurs gestanden haben. Drehort war der damalige Aktzeichenraum der Kunstakademie in der 3-ten Etage, mit bodentiefen Fensterbogen, genau gegenüber vom Aufzug gelegen. Den Hilfskräften wurde befohlen eine große Auswahl alter Skulpturen aus dem Flur vor der Maltechnik in die neue Stewart Klasse zu schaffen. Normalerweise untersagt.
Mein Job war es, den Raum mit selbstgefertigten Bildern auszustatten, die »nach Kunst aussehen«, so jedenfalls formulierte es der Regisseur. Doch was ist Kunst – und für wen ? Was ist eigentlich Kunst die nach Kunst aussieht ? Kann etwas Kunst sein wenn es nach Kunst aussieht oder darf es eben nicht nach Kunst aussehen, damit es Kunst ist ? Oder zu Kunst wird ? Der Regisseur wirkte genervt und ich trug einen inneren Kampf um Verantwortung, Verrat, Imitation und Wahrheit aus. In gewisser Weise warf der Auftrag wichtige
Fragen meiner eigenen Arbeit und meines Kunststudiums auf.
Schließlich erschien mir (Zeichen) Kohle als Medium besonders geeignet. Man konnte kratzen, schaben, wischen, es sah eigentlich immer nach etwas aus (Kunst ?) und man spielte sofort in einer anderen, höheren Liga. Genau darum mochte ich Kohle eigentlich nicht und hatte mir selber den »Umgang« damit untersagt. Aber für die Klasse von Rod Stewart war es ja etwas anderes. Ich zeichnete ein paar Akte und ein paar eher abstrakte Kompositionen, die seinen Studentinnen zugeteilt wurden. Inzwischen war nämlich ein ganzer Bus mit sehr sommerlich gekleideten Fotomodellen an der Akademie vorgefahren. Die Stewart Klasse hatte jetzt den, für damalige
Verhältnisse, fortschrittlich hohen Frauenanteil von genau 100%.
Im Treppenhaus der Kunstakademie roch es ungewöhnlich. Besonders in der 2-ten Etage mischten sich der Duft großer Mengen Parfüm, Haarspray, Leinöl und Terpentin zu einer ausgefallenen und intensiven Mischung. An Haarspray hatten dann auch Rod Stewart und seine damalige Frau oder Freundin nicht gespart. Sie betrat die Klasse in einem schneeweißen Kleid und verfolgte das Geschehen als »Tutorin«. Rod Stewart ist übrigens unheimlich klein. Als ich ihn vor seiner Klasse nach seiner Unterschrift bzw. einem Autogramm fragte, ging er ohne eine Reaktion an mir vorbei. Vielleicht wollte er nicht zu mir hochgucken, obwohl ich eher klein bis mittelgroß bin. Ich war jetzt »Flurstudent«, sozusagen. Da wurde mir klar, daß der Plan, die von mir für sein Kolloquium gefertigten Bilder von ihm anschließend signieren zu lassen und diese dann vielleicht einmal, in irgendeiner Form, als Arbeit zu verwenden, nicht aufgehen würde. Im Video-clip sieht man dann, dass seine Klasse ziemlich gut drauf ist, obwohl alle, bis auf den tanzenden Rod Stewart, hart arbeiten. Dabei müssen die Kunststudentinnen es sich gefallen lassen, dass ihr Lehrer mit seinen Fingern ständig, entweder aus Unkenntnis oder mangelnden Respekt, auf und in ihre (bzw. meine...) unfixierten Kohlearbeiten greift. In einer Arbeit kritzelt er sogar ungefragt herum.
Eine blonde Studentin mit rosa Gürtel, sie arbeitet ganz hinten links – gefällt mir im Video am besten. Sie nutzt eine Spraydose und malt damit rosa, fast monochrome Farbflächen. Dabei wirkt sie sehr eigenständig und in die Arbeit vertieft. Sie achtet weniger auf ihren Lehrmeister und lässt sich auch nicht vom Refrain des Songs irritieren, bei dem dieser jeweils etwas theatralisch auf ein beliebiges Bild zeigt und dazu singt:
Oh no, not again
it hurts so good, I don’t understand
Infatuation...
Irgendwer beim WDR hatte scheinbar diese Einfälle, der arme Rod Stewart zog es aber sehr professionell durch und liess sich nichts anmerken. Nur in den Drehpausen war seine Stimmung eher nicht so gut. Er verschwand schweigend in seiner »Garderobe« im Zwischengeschoss. Vielleicht hatte er zwischenzeitlich bemerkt dass man unfixierte Kohlezeichnungen besser nicht anfasst – wenn man ein weißes Hemd und weiß-hellgraues Sakko trägt und die Gattin oder Freundin ein weißes Kleid. Der Regisseur schien von den sich ewig hinziehenden Dreharbeiten, von der Akademie, von Kunststudenten, vielleicht aber auch von der Musik – »Infatuation« ist ein Disco-Pop-Rock-Mix mit einer Haltbarkeitsdauer von etwa 3 Minuten – überfordert zu sein. Er kriegte dann irgendwann wegen eines Strom und Bildübertragungsausfall noch einen Tobsuchtsanfall. Zuvor hatte er den als Hilfskräfte eingeteilten Kunststudenten, die seit Stunden auf Abruf im Treppenhaus warten mussten, zugerufen, dass diese Extrazeit nicht bezahlt würde. Als Ersatz wurden benutzte Stifte, Zeichenkohle und Malblöcke angeboten. Da die Strom und Videokabel über 3 Stockwerke, durch das Treppenhaus der Akademie zum davor geparkten WDR Übertragungswagen führten, gab es unterwegs mehrere unbewachte Steckverbindungen. Eine davon muss sich dann irgendwie mitten in den Aufnahmen gelöst haben. Es wurde später Abend.
Heute freue ich mich immer von ganzem Herzen, wenn Rod Stewart mal wieder eine Weihnachts-CD herausbringt. Ausserdem bewundere ich es wie er, ganz in seiner Musik aufgehend, immer noch ausverkaufte Konzerte gibt. Meistens denke ich dann an meinen ersten Kuss, manchmal auch an Kunst die nach Kunst aussieht. Alle seine Alben haben stets ein Bild von ihm auf dem Cover, er scheint immer noch viel Haarspray zu benutzen. Vielleicht weiss er inzwischen, dass man damit auch wunderbar Kohlezeichnungen fixieren kann. Wie durch ein Wunder ist Rod Stewart kein bisschen gealtert und sieht immer noch genauso aus wie zu den Zeiten von »Verblendung« an der
Düsseldorfer Kunstakademie.
All art is quite useless
Oscar Wilde, The Picture of Dorian Gray
Kürten, Stefan